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Rheinische Post – Düsseldorf: Immer mehr Bürger haben Angst vor Armut​

Mit dem Herbstbeginn werden die Sorgen vor einem kaum noch bezahlbaren Leben auch in Düsseldorf größer. Der Protest erreicht nun auch die Straße. Noch stehen die Geringverdiener im Mittelpunkt. Warum sich das ändern könnte.

Sozialverbände und Schuldnerberatungen rechnen damit, dass Inflation und sprunghaft steigende Energiekosten eine zunehmende Zahl von Haushalten in eine soziale Notlage bringen werden. „Schon jetzt kommen mehr Menschen, um sich beraten zu lassen“, sagt Uli Wagner, der die Schuldnerberatung der Diakonie leitet.

Derzeit handele es sich noch überwiegend um Menschen am unteren Ende der Einkommensskala. „Aber spätestens nach der Jahreswende rechnen wir damit, dass auch Bürger in die Beratung kommen werden, die zum ersten Mal überhaupt damit konfrontiert werden, dass das Geld plötzlich nicht mehr reicht.“

Dass die Zukunftssorgen längst die Mittelschicht erreicht haben, weiß Rita Schulz, die bei der Diakonie den Spendenservice koordiniert, aus eigener Erfahrung. „Mein Sohn kam aus der Schule, dort hatte der Lehrer gesagt, die Energiekosten könnten sich langfristig bis auf das Zehnfache erhöhen“, berichtet sie. Beim Erzählen seien ihrem Kind die Tränen gekommen. „Er hatte plötzlich Angst, dass wir uns das Leben, wie er es kennt, schon bald nicht mehr leisten können.“

Diese Sorge konnte die Beraterin ihrem Nachwuchs zwar nehmen, aber spürbar sei, dass viele Familien aus der Mittelschicht inzwischen fürchteten, irgendwie abzurutschen. „Plötzlich reden viele darüber, ob sie weniger heizen, kürzer duschen und die Zimmertüren immer gleich verschließen, damit nicht zu viel Wärme verschwendet wird.“ Vorher sei das eher ein Thema der Nachhaltigkeit gewesen, heute gehe es vor allem um die Kosten, meint Schulz.

Um Familien und Alleinstehenden zu helfen, die nicht wissen, wie sie drei oder vier Mal so hohe Abschläge bezahlen sollen, hat die Diakonie bereits im Frühjahr sogenannte Energiepatenschaften ins Leben gerufen. Dabei spenden Bürger Geld für Menschen, die ohne Unterstützung in einer kalten Wohnung sitzen oder ohne Strom klar kommen müssen. Doch nach vielversprechendem Auftakt seien aktuell nur noch etwa 1000 Euro im Topf, sagt Uli Wagner. „Weil viele nicht genau wissen, was in den kommenden Monaten auf sie zukommt, halten sie zunehmend das Geld erst einmal bei sich.“

Die Nöte der Menschen, die zunehmend unter Druck geraten, auf die Straße tragen, möchte das Bündnis „Tasche leer – Schnauze voll“. Nach einem Auftakt mit etwa 70 Teilnehmern am vergangenen Donnerstag soll es am Samstag, 15. Oktober, eine größere Demonstration für die Fortführung des Neun-Euro-Tickets sowie für höhere Sozialleistungen geben.

Dass die Regierung unter anderem mit dem neuen Bürgergeld in Höhe von 502 Euro, dem Ausbau des Wohngeldes und dem angekündigten Strompreisdeckel Menschen am unteren Ende der Einkommensskala unter die Arme greift, räumt Lukas Bäumer, Sozialarbeiter und Sprecher des Bündnisses, ein. „Aber 50 Euro mehr im Vergleich zum bisherigen Hartz-IV-Satz reichen definitiv nicht aus, um das, was jetzt kommt, aufzufangen, zumal es noch keinen Gaspreisdeckel gibt“, sagt der 25-Jährige.

Wie viele Düsseldorfer wegen ihrer existenziellen Ängste auf die Straße gehen, will Bäumer nicht prognostizieren. „Als politisch links verortetes Bündnis werden wir den Protest aber auf keinen Fall rechten oder rechtspopulistischen Gruppen überlassen“, betont der Sprecher des Bündnisses.

Schuldnerberater Wagner hält zudem ein Moratorium, also einen Zahlungsaufschub bei unerwartet hohen Nachzahlungen für Strom und Gas, für wichtig: „Wer im Nie­driglohnsektor arbeitet und neben einem höheren Abschlag auch noch 500 Euro nachzahlen muss, braucht einen Aufschub, wenn er nicht plötzlich im Dunkeln oder im Kalten sitzen soll.“ Auch ohne bundesweite Vorgaben oder Regelungen zeigen sich die Stadtwerke als wichtigster lokaler Versorger bei diesem Thema offen.

„Wir sehen uns auch in dieser schwierigen Zeit als verantwortungsbewusste Geschäftspartner der Kundinnen und Kunden mit all deren Nöten und Sorgen. Dementsprechend will das Unternehmen auch handeln und in Notlagen mit den Kundinnen und Kunden Lösungen suchen und finden“, sagt Unternehmenssprecher René Schleucher.

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Neues Deutschland – Der Herbst ist noch nicht heiß

Rheinische Post – Netzwerk „Tasche leer – Schnauze voll!“ startet Sozialproteste

Antenne Düsseldorf -Tasche leer, Schnauze voll: Neues Bündnis in Düsseldorf

https://www.ddorf-aktuell.de/2022/08/04/duesseldorf-fiftyfifty-aktion-am-hauptbahnhof-mit-christian-lindner/

https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/falscher-christian-lindner-100.html

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Obdachlose konfrontieren „Lindner“

fiftyfifty-Aktion sollte aufzeigen, was das 9-Euro-Ticket für arme Menschen bedeutet

Ein paar Wolken sorgen gerade für eine Auszeit von der knallenden Sonne, als sich am Donnerstagmittag Fiftyfifty-Verkäufer und -Mitarbeiter auf dem Bahnhofsvorplatz sammeln. Sie wollen darüber reden, was das bald endende 9-Euro-Ticket für Obdachlose und arme Menschen bedeutet. Plötzlich gehen die Blicke gen Innenstadt – ein schwarzer Porsche fährt auf den Hauptbahnhof zu. Die Nobelkarosse bahnt sich ihren Weg bis vor das Bahnhofsgebäude. Und aus dem Wagen steigt: Christian Lindner! Sozusagen. Ein kostümierter Mann mit Pappmaché-Kopf des Finanzministers posiert mit einem „Porsche“-Ritterschild und einem Benzinkanister „Für den Porsche“ (FDP) vor den Pressekameras.
„Das Kostüm hat Farbfieber-Künstler Klaus Klinger gestaltet“, erklärt fiftyfifty-Geschäftsführer Hubert Ostendorf. Der Wagen wurde dazu gemietet. Die Aktion ist kein Klamauk, betont er. „Und auch kein FDP-Bashing!“ fügt fiftyfifty-Sprecher Oliver Ongaro hinzu. „Es geht darum, anschaulich zu machen: Einige fahren in Deutschland in Autos, die rund 90.000 Euro kosten, viele sind für Mobilität auf ein 9-Euro-Ticket angewiesen.“ Das Wort sollen bei dieser Versammlung vor allem diejenigen haben, für die das Ticket den größten Unterschied macht. Gerade sie hätten im Gegensatz zur Autoindustrie kein Gehör beim Finanzminister, so Ongaro. Alle von ihnen sind obdachlos oder haben erst durch das Housing-First-Projekt eine Wohnung gefunden.
Darunter ist etwa fiftyfifty-Verkäufer „Django“. Er und seine Frau leben von Erwerbsminderungsrente und Grundsicherung, der Zeitungsverkauf ist seit Corona immer schwierigererklärt er. „Das 9-Euro-Ticket hat uns ermöglicht, zum ersten Mal seit Jahren wieder die Gräber unserer Eltern in Remscheid und Marl zu besuchen.“ Mit dem auf Düsseldorf begrenzten Sozialticket, dass sogar rund 30 Euro teurer ist, ist ihnen das nicht möglich. Auch Sandra Martini, seit 15 Jahren Fiftyfifty-Verkäuferin freute sich sehr über das Ticket: „Dadurch konnte ich endlich wieder Familie und Freunde besuchen. In Köln und Umgebung und auch in Ostwestfalen-Lippe.“ So geht es vielen, die an diesem Mittag ihre Stimme erheben. Lange unmögliche Familienbesuche waren endlich bezahlbar, einige konnten auch Urlaubsausflüge unternehmen, die sie sich seit Jahren wünschten – nach Konstanz, nach Frankfurt oder Berlin etwa.

Viel weniger „Schwarzfahren“
„Jeder hat das Recht, weiterzukommen, auch mal aus der Stadt rauszukommen“, findet Peter, genannt „Kö-Peter“. Mit dem 9-Euro-Ticket sei das möglich gewesen. Und deswegen solle es weiterbestehen oder durch eine gute Alternative ersetzt werden, fordert er. „Wenigstens für Bezieher von Hartz IV und Grundsicherung.“ Worauf Peter und viele Anwesende aufmerksam machen: Die Fälle des „Schwarzfahrens“ haben sich durch das Ticket deutlich reduziert. Das betrifft besonders Obdachlose:„Die Hälfte der Leute, die fiftyfifty verkaufen, war schon einmal im Gefängnis – wegen Schwarzfahrens!“ sagt Ostendorf. Selbst das Sozialticket sei mit rund 40 Euro monatlich für Obdachlose kaum bezahlbar. Und die Gefängnisstrafen nicht nur menschlich schlimm, sondern auch volkswirtschaftlich „Unsinn“. „Die Regierung hat auch viele schlechte Ideen. Aber das9-Euro-Ticket ist eine gute Idee“, so Ostendorf. „Wir fordern ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket!“
Die Aktion auf dem Bahnhofsvorplatz folgte einer Kundgebung vor dem Rathaus vergangene Woche (NRZ berichtete). Anschließen soll sich in der kommenden Woche eine Demonstration. Im Zusammenspiel von Inflation und Corona „rollt etwas auf uns zu“, so Oliver Ongaro. Bevor, so erwartet er, im Herbst die Debatte um den Umgang mit der Krise volle Fahrt aufnimmt, will fiftyfifty schon Impulse geben – und zwar durch die Stimmen der Leute, die am härtesten unter den Konsequenzen leiden.Sebastian Besau NRZ / WAZ

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fiftyfifty-Demo fordert sozialere Krisenpolitik

Armutsbetroffene Düsseldorfer liefen für höhere Sozialleistungen und einen Erhalt des Neun-Euro-Tickets
usplatz und lief über den Hauptbahnhof eine Schleife durch die Innenstadt. OSTENDORF FIFTYFIFTY

Sebastian Besau, NRZ/WAZ

Zum ersten Mal in der Geschichte der Organisation hat Fiftyfifty am Donnerstagnachmittag eine Demo organisiert. „Das Geld ist alle“, so das Motto, das auch schon über den Aktionen in den vergangenen Wochen stand. Zentrale Forderungen: „Höhere Sozialleistungen, ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket und eine gerechte Umverteilung.“ Sprecher Oliver Ongaro erklärt: „Die, die bei Fiftyfifty angebunden sind, sind die ersten, die Sorgen haben, dass das Geld nicht mehr reicht.“ Viele von ihnen nahmen an der Demonstration Teil. Dazu kamen Unterstützer aus der Stadtgesellschaft.

Auch Sozialwissenschaftler Christoph Gille, Professor an der Hochschule, war dabei und sprach auf der Startkundgebung: „Es gibt eine große Stigmatisierung von Armut. Dass von Armut betroffene selbst ihre Stimme erheben, sichtbar werden, und ihre Geschichte erzählen, das ist wichtig – und selten.“ Dabei müsse man sich vor Augen führe, dass es um 20 Prozent unserer Gesellschaft gehe. Gille forscht zu den sozialen Auswirkungen von Armut. „Wir haben wissenschaftlich klare Befunde die zeigen, dass die Inflation Leute mit kleinen Einkommen besonders schwer belastet.“ Etwa beim Kauf von Lebensmitteln. Entlastung müsse sozialpolitisch hier ansetzen. Allerdings: Steuerpolitische Maßnahmen reichten nicht, so Gille. „Auch die Regelsätze der Grundsicherung müssen dringend erhöht werden.“

Die Demo sollte die Probleme sichtbar machen – und politisch Druck aufbauen, damit etwas dagegen getan wird, erklärt Ongaro. Am Montagabend, 19.30 Uhr, organisiert Fiftyfifty dazu auch eine Veranstaltung im Zakk. Eingeladen ist eine große Breite von Wohlfahrtsverbänden und sozialen Initiativen.

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https://rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/die-aermsten-leiden-unter-krisen-enorm_aid-73661383

https://www.ddorf-aktuell.de/2022/07/28/duesseldorf-die-aermsten-der-armen-leiden-besonders-unter-den-steigenden-preisen/

https://epages.express.de/data/160879/reader/reader.html?#!preferred/0/package/160879/pub/213434/page/16/content/5848842

 

„Das Geld ist alle“, warnt die Obdachlosenzeitung fiftyfifty

Inflation werde für die Ärmsten in Düsseldorf immer gefährlicher. Protestaktion vor dem Rathaus soll Problembewusstsein schaffen

„Wir stehen ganz am Anfang einer sehr gefährlichen Entwicklung“, warnt Fiftyfifty-Geschäftsführer Hubert Ostendorf am Donnerstagnachmittag vor dem Rathaus. Der Verein hat auf dem Platz leere Papiertüten aufgestellt, Aufschrift: „Das Geld ist alle..“. Sie sollen für die leeren Einkaufstüten von Menschen, deren Einkommen nicht mehr den ganzen Monat lang reicht. Der Protest soll ein drängendes Problembewusstsein schaffen. Ihre Stimme erheben an diesem Nachmittag vor allem Menschen, die die Problemlage selbst betrifft.

Einer davon ist Django, fiftyfifty-Verkäufer in Kaiserswerth. Er und seine Frau Leben von einer knappen Erwerbsminderungsrente. Vor Corona konnten er und seine Frau monatlich rund 100 Zeitungen verkaufen, mittlerweile sind es nur noch 20 bis 30. „Wir können nicht die letzten zehn tage im Monat nur Nudeln mit Ketchup essen. So wird man krank!“ Vanessa, jahrelange fiftfifty-Verkäuferin, spricht danach: „Am Ende des Monats habe ich nichts mehr übrig. Der Zeitungsverkauf wird immer schwieriger, seit Corona.“ Fifityfifty-Verkäufer und Sozialleistungsbezieher Peter, genannt „Kö-Peter“ kriegt jeden Tag einen Schock bei den Lebensmittelpreisen, erzählt er. Auch sein Geld reicht nur durch Hilfe von Freunden. „Der zweihundert-Euro Zuschuss ist läppisch. Dass Die Armen immer ärmer werde, das muss jetzt endlich ein Ende haben!“ Auch Pater Wolfgang Sieffert von der Altstadt-Armenküche ist vor Ort. Immer mehr Menschen kommen zum Monatsende hin in die Armenküche, erzählt er. Bis zu 300 Leute seien es täglich. Daneben wurden
etwa in der Coronakrise, die Reichsten immer reicher, kritisiert der Pater. „Wo leben wir hier?“ fragt er fassungslos. „Die Tafeln können nicht Erfüllungsgehilfen der Sparpolitik sein“, fügt Ostendorf hinzu.

Housing First bedroht
Die Problemlage bedroht auch das Projekt Housing First, erklärt er. „Sechzig Menschen, die über Housing First wieder eine Wohnung bekommen haben, stehen vor dem Problem, dass Sie ihre Energiekosten nicht mehr bezahlen können.“ Was immer wieder in den Beiträgen anklingt: Das 9-Euro-Ticket hat für viele Geringverdiener einen großen Unterschied gemacht. Aus einer Kundgebung am Donnerstag der Folgewoche soll das vor dem Rathaus größer thematisiert werden.

NRZ 28.7.22